Myousic
oder: Die Sprache der Abwesenheit

Wann hast du das letzte Mal Musik gehört? 
Wann hast du das letzte Mal Musik gesehen? 
Wann hast du das letzte Mal Musik gespürt?

Ja klar, als du vorgestern mit dem Fahrrad über die Brücke gefahren bist, da hast du es gespürt. David Bowies „Heroes“ auf den Ohren, die Sonne schon langsam am Untergehen. Wahnsinnsgefühl.

Wann hast du das letzte Mal keine Musik gehört?
Wann hast du das letzte Mal überhaupt nichts gehört?

Trotz Streamingdiensten, dank denen wir die ganze Welt der Musik wortwörtlich an den Fingerspitzen hängen haben, hat Musik heute oft nur noch eine unterstützende Funktion. Radio zum Duschen, Playlist für den Weg zur Arbeit, Workoutbeats, die den extra Energieschub liefern sollen, Konzentrationsmusik zum Lernen. Für jeden Anlass liegt die passende Musik bereit. So rennen wir durch den Alltag, sehen, scrollen, entscheiden, tippen, teilen, lesen, suchen, finden, verwerfen. Dabei kann Musik viel mehr.

Foto: Augustin Rebetez

Eben das Gefühl von ständiger Überfülle an Information und dem Zwang zur ständigen Reaktion gab Dimitri de Perrot den Anstoß zum Stück Myousic, das am 25./26. Januar erstmals im EinTanzHaus gastiert. „Ich suchte nach einer Sprache, einer Möglichkeit auch einmal Abwesenheit, die Absenz, auszudrücken“, erklärt Dimitri im Interview auf die Frage wie die Idee zum Stück entstand. Es ist ein Versuch die Müdigkeit, die durch die alltäglich gewordenen Abläufe und Beziehungen auch im Theater entstanden ist durch gezielte Abwesenheit aufzubrechen. Welche Wirkung hat Klang ohne Bild? „Was kann es auslösen, wohin kann es mich führen, wohin kann es den Zuschauer führen?“


Aber was genau heißt das eigentlich und was erwartet die Zuschauer*innen mit Myousic? Dimitri antwortet: „Es ist ein Stück, das mit der Präsenz beziehungsweise mit der Absenz spielt. Ein Stück, das mit dem leeren Raum spielt, dem Theaterraum, indem man aber eigentlich nichts sieht, sondern man hört nur. Man hört Geschichten, die man vielleicht im Kopf hat oder die im Kopf geweckt werden. Es spielt viel mit der Überlegung welche Erwartungen wir haben, wenn wir an einen Ort kommen. Was ist dann der gelebte Moment? In diesem Sinn erzählt es den Abend eines Theaterabends, ein surreales Theater, das man nicht sieht sondern hört.“

Der Raum spielt dabei eine zentrale Rolle in Myousic, denn für Dimitri ist Raum immer gleich Resonanzkörper und zwar nicht nur im Sinne der Klangqualität. Jeder Raum hat eine Vergangenheit und ist gefüllt von Geschichten. Wenn nun in einem Theaterraum eine Gemeinschaft zusammenkommt um gemeinsam zwei Stunden dort zu verbringen und ein Stück zu sehen, entstehen wiederum neue Geschichten. „Für mich ist das sehr wertvoll, deshalb war mir der Raum sehr wichtig, aber es ist auch wichtig ihn in einem Moment darzustellen, in dem er plötzlich leer ist und in dem ich mich vergewissern kann: Wo stehe ich denn in der Mitte von all dem?“

In einigen Tagen kann er sich diese Frage im EinTanzHaus stellen, denn für den Kirchenbau wird Myousic neu konzipiert und an den Raum angepasst. Das Stück sieht er dabei als lebendige Materie, die weiterentwickelt und geformt werden darf. „Es ist nicht, weil ich ein Stück abgeschlossen habe, dass alles gesagt ist. Die Möglichkeit ein Stück auch in ungewohnten Situationen neu zu überdenken oder anzupassen ist für mich auch die Möglichkeit dieses Wesen, was ich ja auch zu bändigen versuche, noch einmal zu verstehen.“ sagt Dimitri. Das EinTanzHaus übe in seiner Kahlheit, mit den von außen einfallenden Farben, seiner Größe und seiner Geschichte eine unglaubliche Anziehungskraft auf ihn aus. Ideal also, um Myousic noch einmal auf den Grund zu gehen.

Zusammen mit Drummer Julian Sartorius, der als Einziger tatsächlich auf der Bühne steht, hat Dimitri de Perrot mit Myousic eine große Klangskulptur geschaffen, in die man eintauchen, sich vertiefen, Gefühle zulassen, innehalten und vielleicht am Ende etwas verstehen kann. Seine Arbeit sei auch immer ein Versuch Dinge zu formulieren, die ihn bewegen, die er noch nicht verstanden hat. „Ich bringe ja keine Wahrheit, nur eine Möglichkeit“, erklärt er, „und wenn ich irgendwie beim Publikum oder beim Einzelnen auch etwas in Bewegung gesetzt habe, dann ist viel erreicht.“

Foto: Augustin Rebetez



Tickets zu Myousic gibt es online unter https://eintanzhaus.de/programm/tickets/ oder an der Abendkasse.







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