Mein Endlich-Bericht

„God was dead: to begin with.
And romance was dead. Chivalry was dead.
Poetry, the novel, painting, they were all dead, and art was dead. Theatre and cinema were both dead. Literature was dead. The book was dead.“

So beginnt der Roman Winter von Ali Smith. Hintergrund dafür sind Vorschläge zur Vervollständigung von Suchanfragen in Suchmaschinen. Offenbar möchte uns das Internet wohl weismachen, dass alles tot ist. Nur sterben tun wir nicht. Während wir durch mediale Dauerbeschallung ständig mit Bürgerkriegen, Umweltkatastrophen und Weltuntergangsstimmung konfrontiert werden, haben wir den Gedanken an die eigene Sterblichkeit fein säuberlich in ein Hinterzimmer unseres Bewusstseins geräumt. Sterben? Das tun andere.
Leider funktioniert das genau so lange bis wir tatsächlich einmal mit dem Tod in Kontakt geraten. Mir ist das passiert, als ich vor wenigen Jahren meine Mutter verloren habe. Ich war 19, hatte gerade mein erstes Studium geschmissen und war motiviert beim zweiten Anlauf erfolgreicher zu sein. Dann der Anruf. Implosion.

Eröffnung im zeitraumexit (Foto: Arthur Bauer)

Vor diesem Hintergrund war das Festival Endlich – Über das Sterben in der Gegenwart von zeitraumexit und EinTanzHaus im Voraus für mich mit gemischten Gefühlen verbunden und ich habe mir mit der Entscheidung darüber, ob ich meine persönliche Erfahrung mit dem Tod hier einbringen möchte schwer getan. Letztendlich habe ich mich dafür entschieden zu erzählen, wie die Veranstaltungen, die ich besucht habe für mich waren. Also kräftig durchatmen und los: 

Bei der Auftaktveranstaltung am 18. Oktober im Hof von zeitraumexit bekommen alle Gäste eine Karte auf die sie ihren Namen schreiben. Diese soll dann in Gedenken an die eigene Sterblichkeit in die aufgestellte Feuerstelle geworfen werden. Eine unsichere Grundstimmung gibt der familiären Atmosphäre einen Dämpfer und obwohl ich anfangs schmunzele, während ich meinen Namen auf die Karte schreibe, muss ich doch ein bisschen schlucken, als ich sie in den Flammen verschwinden sehe. Drinnen wird als Begrüßungsritual Holunderschnaps gereicht. Das gemeinsame Trinken und die Schnapswärme im Bauch wirken sehr beruhigend und ich fühle mich zunehmend wohler. Es hat den Anschein, als wüssten auch die VeranstalterInnen nicht sicher, was da wirklich auf sie zukommt, so gespannt auf das Folgende wirken sie bei den Einführungsreden. Ein Festival fürs Sterben hat wohl noch niemand hier miterlebt.


CPR Practice (Foto: SangHook Ok)
Die anschließende Performance ist Kontrastprogramm zur getragenen Atmosphäre der Eröffnung: Geumhyung Jeong zeigt in ihrem Stück „CPR Practice“ intime Momente, die in nervenaufreibende Wiederbelebungsversuche umschlagen. Dass ihr Partner ein medizinisches Dummie istkann man im Laufe der Performance schon einmal vergessen, so echt ist die Verzweiflung mit der die Künstlerin gegen die unzähligen, laut hupenden und piepsenden Warnsignale, die wild durcheinander ertönen, ankämpft. Am Ende verliert sie. Herzstillstand. Die Geräte werden abgeschaltet und es herrscht Stille. Erst einmal denke ich, die Performance sei nicht so richtig bei mir angekommen. Ich kann mir keine Meinung dazu bilden, weiß auch nicht recht, ob sie mir überhaupt gefallen hat oder nicht. Zuhause merke ich, dass es Geumhyung Jeong geschafft hatte, ohne dass ich es mitbekommen hätte, im Haufen meiner Alltagsemotionen die Trauer auszugraben und wieder präsent zu machen, als wäre sie erst ein paar Wochen alt.


ZeitGeist (Foto: Fulbert Hauk)
Am Tag darauf wird im EinTanzHaus das Stück ZeiGeist gezeigt. Darin stellt Choreograf Éric Trottier mit sieben Tänzerinnen und Tänzern Fragen zu Tod und Sterben und versucht ihn in der heutigen Gegensätzlichkeit von ständiger Konfrontation mit dem Tod und der stetigen Entfremdung vom Gedanken an die eigene Endlichkeit einzuordnen. „Wenn du dein Leben nicht kontrollieren kannst ist es wie, wenn du auf den Schultern von jemandem sitzt; wenn du dich zu viel bewegst, fällst du“, beschreibt Éric mir im Voraus eine Szene, in der ich mich selbst später in der Performance wiederfinde. Eine Tänzerin wird auf den Körpern zweier Menschen durch den Raum transportiert, sie wehrt sich dagegen, doch ihr bleibt schließlich nichts anderes übrig, als sich tragen zu lassen. Das resignierte Gefühl, dass man eine Situation nicht so akzeptieren möchte und es am Ende doch keine andere Möglichkeit gibt, als sie anzunehmen, ist mir in dem Kontext gut bekannt. Trotzdem hat das Stück am Ende etwas Tröstendes. „Ich bin ein Fragen-Choreograf“, sagt Éric „ich frage immer viel, doch ich habe kein Antworten.“ Gerade der Tod und das Sterben werfen Fragen auf für die es schwierig oder unmöglich ist Antworten zu finden. Warum muss gerade sie oder er sterben? Was passiert mit dem Bewusstsein nach dem Tod? Vielleicht ist es gerade die Akzeptanz, dass wir Lebenden vermutlich niemals Antworten auf solche Fragen finden werden, die Verbindung schafft und ermutigt.


A Cooking Show from Art to Death
(Foto: Arthur Bauer)
Weiter geht es mit A Cooking Show from Art to Death von ongoing project mit dem Thema Religion. In entspannter Atmosphäre sieht das Publikum Religionswissenschaftlerin Inken Pohl und Theologe Kristian Fechtner beim Zubereiten einer Kräutersuppe zu. Es geht darum, wie verschiedene Religionen mit dem Tod umgehen, welche Rituale und Bräuche Trauernde begehen und wie sich auch Beerdigungen mit schwindendem Einfluss von Religion und Kirche individualisieren.
Ich kann für mich Vergleiche ziehen, wie meine Familie mit dem Verlust umgegangen ist und welche Traditionen für uns eine Rolle gespielt haben. Kristian Fechtner spricht auch über die voranschreitende Digitalisierung des Todes und dem Wunsch vieler, zumindest im Internet unendlich zu sein. Ich klicke mich am Tag darauf aus Neugier durch Online-Friedhöfe und bin ehrlich erstaunt wie viele Einträge es gibt. Angehörige gestalten Seiten für Verstorbene, wer zufällig vorbeikommt kann eine digitale Kerze anzünden und Beileidsbekundungen senden. Von vielen existiert noch ein Facebookprofil, ein digitaler Nachweis für ein Leben, das nicht mehr da ist. Je diverser unsere Gesellschaft wird, desto diverser wird wohl auch das Sterben. 


„Solange wir uns an die Toten erinnern, sind sie nicht tot“, sagt Zinovia Pantazidou, die ebenfalls an der Cooking Show teilnimmt. Richtig, und deshalb war das Endlich-Festival für mich nicht nur ein Festival über das Sterben, sondern auch ein Festival über das Erinnern. Denn sich zu erinnern muss nicht traurig sein. Vom gemeinsamen Gedenken an die eigene Sterblichkeit bei der Eröffnung, über humoristisch-groteske Figuren, die über die Bühne krabbeln bei ZeitGeist, bis hin zu Lachern darüber, dass Koch 1 sich Sorgen über zu viel Fett in der Suppe macht, während Koch 2 engagiert noch mehr Sahne in den Topf rührt und dabei über die Vermischung verschiedener Trauerrituale spricht. Bei allen Gesprächen, Diskussionen und Gedanken an den Tod und das Sterben ist deshalb meiner Meinung nach vor allem eines wichtig: Lebensfreude 


Das Foto meiner Mutter beim Strandspaziergang habe ich im letzten gemeinsamen Urlaub gemacht. Es steht für viele schöne Erinnerungen.













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