Vom perfekten Gleichgewicht

Tänzer sind Meister des Gleichgewichts. In perfekter Ausgeglichenheit halten sie sich in unmöglichen Positionen, schweben über die Bühne, drehen sich einbeinig um die eigene Achse und sehen dabei noch aus, als sei es das Einfachste der Welt. Als Person, die zu viel Stress, zu wenig Geld und zu oft Pasta mit Pesto auf dem Teller hat, kann man auf so viel Leichtigkeit schon neidisch sein. Insbesondere, da Gleichgewicht und Harmonie nicht nur im Tanz höchsten Stellenwert haben. 

Geraten in der Natur Ökosysteme aus dem Gleichgewicht hat das schwerwiegende Folgen für Tier- und Pflanzenwelt. Ein Kunstwerk erscheint uns dann ansprechend, wenn ihm eine gewisse Symmetrie innewohnt. Genauso gilt ein Gesicht als schön, wenn es symmetrisch ist. Ein Körper, wenn er wohlproportioniert ist, das heißt, die Beine sollen die Hälfte der Körpergröße ausmachen, Arme bis zur Mitte des Oberschenkels reichen und Füße so lang sein wie der Unterarm. Alles soll im richtigen Verhältnis zueinander stehen damit unser ästhetisches Auge zufrieden ist. Sind die Beine zu kurz, sind wir angehalten, sie durch das Tragen der richtigen Hose optisch zu verlängern, ist der Bauch zu dick kaschieren wir das mit Oberteilen, die den Fokus weg von der Körpermitte lenken. Wir lernen früh Tricks, mit denen wir uns optisch ins „richtige“ Verhältnis setzen. Leider ist es damit noch lange nicht getan, denn wir sollen und wollen nicht nur optische Harmonie erreichen, sondern auch innere. Stichwort: Work-Life-Balance. Perfektes Gleichgewicht als Schlüssel zum Glück. Wer auf  der Suche nach harmonischen Verhältnissen ab und an eine falsche Abzweigung erwischt, kann sich inzwischen an einen Life Coach wenden. Mit Weisheiten, die vermutlich jeder kennt und keiner wissen will, soll geholfen werden innere Ausgeglichenheit herzustellen und Ziele wie Selbstvertrauen, Gelassenheit und Zufriedenheit möglich zu machen. Nur, wie sieht das perfekte Gleichgewicht eigentlich aus? Kann man das überhaupt erreichen? Und falls ja, was dann?

1,618033 (Foto: Fulbert Hauk)

Das Stück 1,618033 das am 3. November im EinTanzHaus Premiere feierte untersucht genau das. Die Zahl des Goldenen Schnitts steht dabei symbolisch für das perfekte Gleichgewicht der Verhältnisse. Auf einer Bühne, die keinen festen Halt bietet, suchen sieben Tänzerinnen und Tänzer des La_Trottier Dance Collectives nach dem richtigen Verhältnis zueinander um Harmonie zu erreichen. Wechselnde Lauf- und Tempomuster sorgen dafür, dass sie sich immer wieder in das und aus dem Gleichgewicht bewegen.  Das Spannende daran ist zu sehen wie sich die Tänzer*innen ständig neu in Relation zueinander setzen und wiederholt das richtige Verhältnis zueinander suchen. Die Harmonie entsteht dabei nicht etwa durch Stillstand im scheinbar perfekten Gleichgewicht, sondern gerade durch die ständige Bewegung. 1,618033 lehrt uns dabei eine Weisheit, die vermutlich jeder auf der Suche nach dem perfekten Gleichgewicht kennt, aber keiner wissen will. Der Weg ist das Ziel.

Studierenden-Special: Für die Vorstellung von 1,618033 am 17. November um 20 Uhr kosten
Tickets für Studierende nur 5 Euro.

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