Immer Ja Sagen – Über Improvisation


Gefühlt improvisiere ich eigentlich ständig. Beim Kochen fehlt mir beispielsweise fast immer mindestens eine Zutat. Es passiert mir auch ziemlich oft, dass mein Outfit, das ich am Abend tragen wollte zehn Minuten vor Aufbruch doch noch nass über dem Wäscheständer hängt. Per Definition bedeutet improvisieren aus dem Stehgreif zu agieren. Das heißt es gibt kein Rezept, in dem ich kurz nachschauen und keinen Plan, an den ich mich halten kann, sondern ich tue das, was mir unmittelbar in diesem Moment einfällt. Im Normalfall sieht mir dabei niemand zu und solange am Ende etwas Präsentables dabei herauskommt, ist es auch nicht ganz so wichtig, dass auf dem Weg dahin Chaos herrscht.


Paul Klee, Tänzerin

    Im Gegensatz zu meinen Improvisationen waren beim Improbattle letzte Woche jedoch alle Augen auf die Tänzer*innen gerichtet, die ohne Choreographie zu vorher unbekannten Themen einen Abend tänzerisch füllen und das gegnerische Team schlagen mussten. Es ist nicht nur für das Publikum besonders spannend, nicht zu wissen, was geschehen wird, auf der Bühne weiß es ebenfalls niemand. „Anstrengend“, finden das Michelle und Tobias vom La_Trottier Dance Collective. Aber es macht ihnen natürlich auch Spaß, wobei das Konzept des Battles den Improabend zum Besonderen machen. Tobi erklärt mir, dass es bei einer normalen Improvisation kein Richtig oder Falsch gibt, doch in dem Moment, in dem es sich um einen Wettbewerb handelt, wird man bewertet, was das Ganze natürlich schwerer macht. Man möchte das Publikum schließlich überzeugen. Dafür muss man einen gemeinsamen Ansatz finden. „Man muss eine Strategie finden ohne irgendetwas zu wissen. Strategisch sein ohne
Strategie.“, sagt Tänzerin Michelle.
    Unabhängig vom Kontext eines Battles ist bei einer improvisierten Performance vor allem eines wichtig: ein Thema, aus dem ein Konzept abgeleitet werden kann. Die thematische Einschränkung gibt den Tanzenden die Freiheit innerhalb des Themas so kreativ wie möglich zu sein, sich daran abzuarbeiten und eigene Ideen und Gedanken dazu auszutanzen. Ohne Thema hat man zwar theoretisch alle Möglichkeiten, doch Michelle findet: „Manchmal ist alles nichts.“ Damit ist gemeint, dass eine Improvisation ein Thema braucht, damit ein Tänzer die Möglichkeit hat in die Tiefe zu gehen und in der Bewegung zu erforschen, was abseits des Offensichtlichen liegt. Das Publikum sieht dabei zu, wie eine Tänzerin ihre Idee oder auch die Idee der Gruppe unmittelbar umsetzt und dabei doch ein schlüssiges Ganzes präsentiert. Als würde jemand eine Rede halten ohne sie vorher geschrieben zu haben. „Es ist ein bisschen paradox“, sagt Michelle. „du improvisierst im Moment, doch währenddessen möchtest du ein Produkt erschaffen und es soll so aussehen, als hättest du es schon tausende Male getanzt, dabei hast du es gerade in diesem Moment improvisiert.“ 
    Um ein Thema mit einer Gruppe in dieser Intensität zu erforschen, ist es wichtig sich für die anderen der Gruppe zu öffnen und ein Gespür dafür zu entwickeln, wann eine Idee passt, wann man die eigene besser hinten anstellt und wann es Zeit ist in eine andere Richtung zu gehen. „Ich glaube, die grundlegende Regel beim Improvisieren ist aufeinander zu hören und aufeinander einzugehen“, fasst Tobi zusammen. Michelle fügt hinzu, dass es wichtig sei immer „Ja“ zu sagen und niemals „Nein“, denn ein „Ja“ gebe einem mehr Möglichkeit sich einzubringen und miteinander zu arbeiten.


Damit eine Gruppe gemeinsam improvisieren kann und nicht jeder individuell den eigenen Ideen folgt, muss die Einzelne wissen, was im Raum um sie herum gerade passiert, muss sozusagen einen 360-Grad-Blick entwickeln. Das sei viel Multitasking, denn man dürfe sich nicht nur mit dem eigenen Blickfeld durch den Raum bewegen, sondern müsse sich immer auch auf die anderen konzentrieren, erklären mir die Tänzer. Dabei hilft es natürlich, wenn man sich untereinander kennt und gemeinsame Bühnenerfahrung hat. „Man weiß, wie sich der Körper des anderen anfühlt, wie schwer oder leicht jemand ist, oder wie jemand reagiert, wenn ich eine bestimmte Improvisation bringe“, erzählt Tobi. „Wir [vom Kollektiv] arbeiten schon einige Jahre miteinander und haben eine starke Verbindung und Verständnis füreinander.“ Wenn dann jemand dazustoße, mit dem man keine gemeinsame Zeit auf der Bühne hatte, kann das eine Herausforderung sein, bestätigt Michelle. 
    Natürlich gibt es auch für die Improvisation Techniken, die man erarbeiten und lernen kann, beispielweise wie man Gewicht aufnimmt und auf den Körper der Anderen reagiert. Dabei spielt das Unbewusste eine zentrale Rolle. Wenn der Körper irgendwann selbst weiß, was er in bestimmten Situationen tun muss, dann befreit das davon, ständig über die nächsten Schritte nachzudenken und gibt dem Tänzer die Freiheit zu agieren und zu reagieren wie es in der Improvisation sein soll: unmittelbar und ehrlich.

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